Im sog. „roten Tantra“ steht Maithuna für die sexuelle Vereinigung. Es ist ein Teil des Panca Tattva Ritus, eine Kulthandlung um die fünf „m“, das man als Ur-Ritual bezeichnen kann.
Erweiterung des Bewusstseins
Die fünf "m"
Der Panca Tattva Ritus ging meistens über sieben Tage und Maithuna ist der sakrale Höhepunkt dieser Puja. Es ist das sexuelle Vereinigungsritual und wurde sowohl von den Anhängern des vamacara tantra (linkshändiger Weg oder „rotes Tantra“) als auch des dakshinakara tantra (rechtshändiger Weg oder „weißes Tantra“) zelebriert. Dort wurden aber Ersatzmittel verwendet bzw. Ersatzhandlungen vollzogen. Das Ziel ist die Erweiterung des Bewusstseins durch die fünf Kategorien, die im Hinduismus sinnbildlich die Objekte der Begierde darstellen, die fünf tattvas (m´s):
madya = Wein
mamsa = Fleisch
mudra = geröstetes Getreide
matsya = Fisch
maithuna = sexuelle Vereinigung
Die tattvas stellten Tabus dar, die von Brahmanen unter keinen Umständen gebrochen werden durften. Der Verstoß gegen die Gebote und Askese der alten Brahmanen-Kulte war auf der einen Seite ein Ausdruck der Freiheit gegenüber Gebot und Verbot, Moral und Unmoral – man könnte auch sagen, dass das Tantra tief rebellisch war. Andererseits ging es um die Überwindung der Dualität, also um das Fundament des gesamten tantrischen Gedankengutes. Nichts wird in gut oder schlecht unterteilt, alles wird akzeptiert.
Die tattvas symbolisieren aber auch die fünf Elemente Luft, Feuer, Wasser, Erde und Raum – also die Schöpfung selbst. Der bewusste Verzehr der m´s und die sexuelle Vereinigung im Ritual sind also der direkte Ausdruck der Tantriker, den Menschen als ganzheitliches Wesen zu akzeptieren und zu ehren als Teil der Schöpfung.
Die Transformation
Umwandlung von Sexualenergie in spirituelle Energie
Die Tantriker des linkshändigen Weges sind überzeugt, dass der Mensch nicht allein geistig/meditativ, sondern nur über den Einsatz aller Kraftzentren und Kraftquellen zu einer Ganzheits-Erfahrung kommen kann. Da die Sexualität die stärkste Energie in uns ist (die Bioenergie), hat sie im roten Tantra sogar eine ganz zentrale Bedeutung.
Es stellte sich aber immer auch die Frage der Wertung des Sexualtriebes, seiner Intensität und seines Einsatzes im Ritual. Orgasmus und Ejakulation ja oder nein – für Manche hatte die Vermeidung oberste Priorität, eine einheitliche Regelung gab es wohl aber nicht.
Beim Maithuna ging es überwiegend um Paar-Rituale. Die vorgeschriebenen Kultspeisen wurden in strenger Folge zu sich genommen und sie vereinigten sich zum feierlichen Höhepunkt im Koitus. Ob dabei auch die Partner gewechselt wurden, ist nicht klar belegt im Gegensatz zum Chakra Puja Ritual, das die Vereinigung aller Teilnehmer im Kreis als Ziel hatte.
Die Sexualenergie des Einzelnen sollte in den Zirkel der Praktizierenden einfließen, dann in spirituelle Energie umgewandelt werden und somit zur Potenzierung tantrischer Kraft führen. Dabei kam es zur Erforschung subtilster körperlich/sinnlicher Methoden, wie sie auch heute noch in einigen Kreisen geübt und vollzogen werden.
An diesen Ritualen wurden nur Teilnehmer zugelassen, die eine spezielle Schulung absolviert hatten – meistens über eine lange Zeit, oft sogar über Jahre. Während dieser Zeit ging der Adept in die Tiefen des Yoga, Pranayama und Tantra-Yoga. Das war ein anstrengendes und anspruchsvolles Training, das nur diejenigen durchhielten, die auch wirklich den Willen und die Bereitschaft dazu hatten!