Tantrischer Slow Sex
- Amano

- 3. Nov.
- 6 Min. Lesezeit
Aktualisiert: vor 5 Tagen
"Tantrischer Sex ist die Erfahrung des Einsseins, wenn es kein ICH und kein DU mehr gibt. Auf einer höheren Ebene wird aus zweien eins: eine Melodie, ein Strömen, ein Wesen – das Ego hat sich aufgelöst."

Je nach Kultur und regionalem Umfeld wird Sex entweder im stillen Kämmerlein und vorwiegend im Dunkeln praktiziert, oftmals auch noch belastet durch das religiöse Dogma des Sündhaften. Oder er befindet sich im anderen Extrem, er verkommt zum pornographischen Hochleistungssport, bei dem das Erreichen des Orgasmus die Ziellinie ist. Schwitzende und ausgepumpte Körper sind oft das Resultat, der Orgasmus ist eher oberflächlich und genau so steil abfallend wie er aufgestiegen ist. Was häufig zurück bleibt, ist ein Gefühl der Leere, des Unvollkommenen und Flüchtigen - und nicht lange danach kommt das Verlangen nach mehr.
Die westliche Wissenschaft hat für diese Art von Sex eine passende Bezeichnung: der animalische Sex. Hier geht es primär um die Fortpflanzung, und der Orgasmus ist sowohl Lockmittel als auch Belohnung. Ein Orgasmus bereitet die intensivsten Glücksgefühle, die ein Mensch auf der niedrig schwingenden, grobstofflich-körperlichen Ebene haben kann. Er ist nichts anderes als ein Trick der Natur, um einen möglichst großen Anreiz zur Reproduktion zu schaffen - und zwar möglichst oft. Wenn man das einmal verstanden hat, relativiert sich die Bedeutung eines Orgasmus. Aber schön bleibt´s trotzdem, gell?
Tantrischer Slow-Sex
Tantrischer Sex findet auf einer ganz anderen Ebene statt. Dabei geht es nicht um zielgerichtete Aktivität, sondern um ein Geschehen-Lassen. Der tantrische Sex geht weit über sinnlich-körperliche Erfahrungen hinaus, es ist vielmehr ein Verschmelzen auf der feinstofflichen Ebene. Mann und Frau, Shiva und Shakti erfahren sich (wieder) als energetische Einheit.
Im Gegensatz zum üblich praktizierten Sex, der zielorientiert und auf einen Orgasmus fixiert ist, gibt es beim Tantric Slow Sex keine Ziellinie, die zu erreichen wäre. Primär geht es darum, in die totale Entspannung zu gehen und die Energien ganz bewusst im Körper zu behalten, anstatt sie ständig nach außen zu entladen.
Tantra arbeitet in jedem Aspekt meditativ/energetisch, um bestimmte Prozesse auszulösen, zu fördern oder zu beschleunigen. Im Laufe der Zeit haben sich viele Techniken entwickelt, die unterstützend wirken – insbesondere das Wecken, Hochleiten und Verteilen der sexuellen Energie im ganzen Körper. Im Gegensatz zum Kamasutra, das die Vereinigung in vielfältigen und teilweise akrobatischen Stellungen praktiziert, geht es bei der tantrischen Vereinigung hauptsächlich um eine entspannte Position, damit der Sexualakt möglichst lange zelebriert werden kann.
Yab-Yum: die Lotus-Position
Die sogenannte Yab-Yum-Position bietet einige Vorteile gegenüber anderen Positionen. Zum Einen können beide Partner diese Stellung sehr lange halten, ohne zu ermüden oder zu verkrampfen. Darüber hinaus ist ein guter und großflächiger Körperkontakt möglich, beide können sich küssen und streicheln und tief in die Augen schauen. Die Augen sind die Portale zur Seele.
Selbst für diejenigen, die sich nicht explizit mit Energiearbeit beschäftigt haben oder idealerweise Tantra-Yoga praktizieren, ist diese Position sehr angenehm und praktikabel. „Mann“ kann sich total entspannen und „Frau“ bestimmt mit der rhythmischen Bewegung ihres Beckens die Dosierung der sexuellen Energie. Das Geheimnis jedoch liegt in der Entspannung und Hingabe.
Die Bewegungen dabei sind langsam, fein und subtil. Das ist für viele Anfänger die wohl größte Herausforderung. Wenn du dich darauf einlassen kannst, wirst du überrascht sein, welch feine Details du spüren kannst. Irgendwann und vollkommen unkontrolliert gebiert sich daraus ein tranceähnlicher, meditativer Zustand. Wer praktische Erfahrungen mit Meditation hat, ist klar im Vorteil. Jeder Sexualakt im Tantra ist Meditation von A bis Z!
Nach und nach wird der Körper aufgeladen mit sexueller Energie wie ein Akku, und der Raum der Bewusstheit dehnt sich immer weiter aus. Auf diesem Level gibt es meistens keinen Drang mehr nach einem Orgasmus, weder beim Mann noch bei der Frau - er spielt einfach keine Rolle mehr. Der positive Nebeneffekt beim Mann: wenn du die Ejakulation vermeidest, bist du sozusagen in ständiger Bereitschaft und sexueller Kraft - deine erotische Ausstrahlung wirkt dann wie ein Magnet auf deine Partnerin.
Experimentiert beide mit einer Welle - je länger ihr das macht, desto mehr sexuelle Energie baut sich auf. Lasst dann alles zum Ende hin langsam ausklingen und vermeide als Mann die Ejakulation. Du kannst gleichzeitig auch visualisieren, wie du deine sexuelle, heiße Energie aus dem Unterleib über den ganzen Körper verteilst.
Du wirst feststellen, dass sich eine unglaubliche Ruhe und feine Energie in deinem Körper ausbreitet - es ist ein subtiles, ständiges Fließen, das dich durch den ganzen Tag trägt. Das ist dann so, als wenn du dich in einem dauerhaften Glücks-Zustand befindest - der Kopf wird immer ruhiger, die Gedanken sind aber sehr klar. Gleichzeitig fühlst du dich angekommen. Es gibt keinen Drang mehr, irgend etwas zu tun oder erreichen zu müssen oder irgendwo hin zu gehen. Das So-Sein mit dem Partner, seine Verbundenheit und Liebe zu spüren, ist Alles!
Das Verschmelzen der Energien
Statistisch gesehen dauert ein Sexualakt in unserer Gesellschaft 11 Minuten. Das ist viel zu kurz, um die Sexual-Energie richtig ins fließen zu bringen und weitere Prozesse auszulösen. Ab einer sexuellen Vereinigung von ca. 45 bis 60 Minuten geschieht ein Phänomen, das alleine schon durch die Dauer des Aktes ausgelöst wird: die feinstofflichen Energien beider Körper schwingen plötzlich in ähnlicher oder sogar der gleichen Frequenz!
Die moderne Wissenschaft hat außerdem festgestellt, dass sich ab einer Dauer von 32,5 Minuten die Hormon-Ketten schließen und miteinander korrespondieren. Über die Sexualität wird unsere Herz-Energie aktiviert und im Zusammenspiel der Hormone und dem Verschmelzen der Energien hat das den Effekt, dass man in eine extrem lange Phase der Ekstase kommen kann. Danach ist man sehr wach und vital, im Gegensatz zum üblicherweise praktizierten Akt, der oft eine große Müdigkeit und Leere hinterlässt.
Diese Zusammenhänge hatten die Tantriker aber schon vor Jahrhunderten durch reines Beobachten erkannt! Der Effekt ist umso ausgeprägter und erfolgt schneller, je häufiger das geschieht. Aus einer tiefen Entspannung heraus (und nicht durch schweißtreibende Aktivität) geschieht ein kleines Wunder: aus ZWEI wird EINS. Daraus entwickelt sich ohne weiteres Zutun ein Wir-Gefühl, also Liebe. Die beiden feststofflichen Körper „verschmelzen“ auf der feinstofflichen Ebene und werden zur Einheit, sie kommen zum Ursprung zurück, wo alles Eins war.
Auf diese natürliche Art und Weise können wir tiefste Erfüllung und Liebe finden. Menschen, die ein sexuell befriedigendes Leben haben, sind glücklich, ausgeglichen und extrem friedlich. Ihnen genügt das So-Sein, das Spüren des Partners und die Verbindung zu ihm. Das ist wahre Glückseligkeit. Es entsteht überhaupt kein Drang nach Dingen, die im Außen liegen. Beide müssen nicht mehr irgendwo hin gehen oder irgend etwas erreichen…sie sind angekommen!
Orgasmus und Ejakulation
Viele Männer können sich kaum vorstellen, einen Sexualakt freiwillig und ganz bewusst ohne Ejakulation zu beenden. Für sie ist eine Ejakulation das erstrebenswerte Finale des Sexualaktes und kommt direkt nach einem Orgasmus. Dass man Orgasmus und Ejakulation auch von einander trennen kann, ist für die meisten neu und völlig unbekanntes Terrain.
Die Taoisten unterscheiden beispielsweise zwischen Gipfel- und Talorgasmus, und die Differenzierungen gehen dabei sogar bis in kleinste Details. Das jedoch ist meiner Meinung nach nicht nötig und macht alles viel komplexer, als es sein müsste. Dann wird´s - zumindest am Anfang - eine Sache des Kopfes und ziemlich verkrampft... und das wiederum ist ganz und gar nicht die Philosophie des Tantra.
Ich empfehle dir als Mann, ganz entspannt deine eigenen Erfahrungen mit dem Vermeiden einer Ejakulation zu sammeln. Dazu gibt es eine ganze Reihe verschiedenster Techniken und fundierte Literatur wie beispielsweise der Klassiker von Mantak Chia → Tao Yoga der Liebe. Versuche ganz relaxt, deinen sexuellen Spannungsbogen während der Vereinigung über eine längere Zeit - mindestens 1 Stunde - auf einem wellenartigen Lust-Level von 5-8 (von 10) zu halten. Taste dich ab und zu an den Point-Of-No-Return heran, um ein Gefühl dafür zu bekommen.
Durch das Vermeiden einer Ejakulation bist du in einem permanenten Zustand der Bereitschaft - deine Partnerin spürt das deutlich und die Anziehungskraft wird immer größer. Wenn ihr das über ein paar Tage zelebriert - am besten mehrmals täglich - entsteht ein unsichtbares Band zwischen euch, das euch das Gefühl der EINHEIT gibt. Auf der körperlichen Ebene immer noch getrennt, aber auf energetischer Ebene vereint.
Dieses starke Gefühl der Verbundenheit ist nicht räumlich begrenzt. Selbst wenn der Partner körperlich nicht anwesend ist, spüren beide dieses Band. Dann sind sie komplett, sie kommen zum Ursprung zurück. Mann und Frau, Shiva und Shakti werden zu BINDU - dem Punkt, der alles verbindet und an dem alles begann.
Tantrischer Sex - eine mystische Erfahrung
Das Gefühl des Einsseins ist eine fast mystische Erfahrung, die praktisch alle Menschen machen können. Und dieses Gefühl kann noch lange nach dem Liebesakt anhalten, oft sogar tagelang. Es ist ein Gefühl, als ob sich der ganze Körper geweitet hätte, eine schier unendliche Ruhe breitet sich aus, die zeitweise begleitet ist von intensiven Glücksgefühlen, die spontane Glückswellen auslösen.
Probiere es aus! Beginne deinen Tag mit einer liebevollen Vereinigung. Die Löffelchen-Position von der Seite eignet sich hervorragend, wenn man sich noch im "Halbschlaf-Modus" befindet. Oder mach mit deiner bzw. deinem Liebsten einen Liebesurlaub und vereinige dich ohne Ziel und große Aktivität mehrfach am Tag für eine Stunde – und lass die Verschmelzung geschehen.
Du kannst diesen Prozess noch mit gemeinsamen Atemzügen unterstützen, sie passiert irgendwann automatisch und ohne weiteres Zutun. Mehr braucht es erstmal nicht! Das alleine schon wird eure Beziehung auf einen höheren Level heben und eine starke Verbundenheit erzeugen. Aber erst dann, wenn du selber diese Erfahrung gemacht hast, erst dann WEISST du!
Und genau aus diesem Grund gibt Diane Richardson (eine der bekanntesten Tantra-Ikonen unserer Zeit und Autorin vieler hervorragender Sachbücher) den Paaren in ihren Seminaren in der Mittagspause die Aufgabe, sich eine ganze Stunde zu vereinigen – sie nennt es „stöpseln“. Es geht nicht um sexuelle oder lustvolle Aktivität, es geht nur um die Vereinigung an sich. Die Folge ist, dass die Zuneigung und Verbundenheit der beiden immer intensiver wird.




Hallo Amano, du sprichst mir aus der Seele und gleichzeitig ein wichtiges Thema an. Hab zwei Kiddys, die sich in der Pubertät befinden. Ich frage mich, warum generell die Themen Liebe, Sexualität und Beziehungen in der Schule nur oberflächlich oder gar nicht behandelt werden. Gerade ab der Oberstufe, wenn Jugendliche beginnen, eigene Erfahrungen in diesem Bereich zu machen und Fragen zu stellen, fehlen gute Quellen. Irgendwann landen sie dann auf diesen ekligen Pornoseiten 😝 und das ist doch genau das, was sie auch später in ihren Beziehungen umsetzen. In meinen jedenfalls war Sex durch die Bank enttäuschend. Ich hab schon immer gedacht oder gehofft, dass das auch anders gehen könnte. Und danke für den Tipp mit dem Buch 👍.